08 - Templergraben 55, RWTH
Die Hochschule im Nationalsozialismus
Wenn man einmal die Wahlergebnisse betrachtet, die die Aachener NSDAP bei Reichstag-, Landtags- und Kommunalwahlen erreichte, ist auffällig, dass die Nazipartei in Aachen nie den Stimmenanteil erreichte wie in anderen Gegenden des Reiches. Selbst bei der Reichstagswahl vom 6. März 1933, die schon nicht mehr unter demokratischen Vorzeichen stattfand, erzielten die Nazis in Aachen nur etwa 27 % Stimmenanteil, während sie bei dieser Wahl im Reich über 40 % der Wählerstimmen erhielten. Der Erfolg der Nazis in Aachen war, gemessen an Wahlergebnissen, vor 1933 sehr begrenzt. Anders war die Situation bei einem speziellen Teil der Aachener Bevölkerung: Bei den Aachener Studenten.
Bei Studentenschaftswahlen im Frühjahr 1932 erhielten die NS-Studenten zusammen mit Deutsch-Nationalen Burschenschaften die Mehrheit der Stimmen. Daher konnten sie den AStA (Allgemeiner Studentenausschuss) bilden. Es ist bezeichnend, dass dieser AStA im April 1933 eine Eingabe an den für die Hochschulen zuständigen Reichskommissar Rust richtete, in der die Entfernung von ”jüdischen und demokratisch gesinnten Professoren” aus der Hochschule gefordert wurde. Rust entließ daraufhin mit sofortiger Wirkung folgende Professoren und Dozenten: Hopf, Fuchs, Meusel, Mautner, Levy, Pick, Strauß und Blumenthal. Ähnliches geschah auch an anderen deutschen Hochschulen.
Sofort nach der Machtergreifung Anfang 1933 begannen die Nazis, jüdische und politisch missliebige (vor allem kommunistische) Professoren aus den deutschen Universitäten zu entlassen. Schon 1933 waren davon etwa 15 Prozent aller deutschen Hochschullehrer betroffen, von 1933 bis 1938 insgesamt fast ein Drittel.
Auch die RWTH Aachen machte dabei keine Ausnahme. In Aachen wurden zwölf Mitglieder des Lehrkörpers unter entwürdigenden Bedingungen aus dem Amt vertrieben, darunter elf Professoren jüdischer Abstammung. Einige von ihnen fielen zwar unter Ausnahmeregelungen, die ihre Entlassung aus ”rassischen Gründen” zunächst (bis Ende 1935) verhindert hätten, bei ihnen wurden aber politische Gründe angegeben, für die es keine Ausnahmeregelung gab. Die plötzlichen Entlassungen ohne Fortzahlung irgendwelcher Bezüge und die sich anschließende weitere Verfolgung und manchmal auch Verhaftung führten bei einigen der betroffenen Familien zu großer wirtschaftlicher Not und bei den meisten schließlich zur Emigration. Obwohl die Entlassungen vom zuständigen Ministerium in Berlin verfügt wurden, lag ein großer Teil der Verantwortung in Aachen, denn die konkreten Einzelmaßnahmen wurden zum Teil durch Denunziationsbriefe des damaligen AStA und der Aachener Kreisgruppe des Nationalsozialistischen Lehrerbundes ausgelöst. Außer den Professoren wurde auch eine unbekannte Zahl jüdischer Assistenten und Studenten von der RWTH Aachen vertrieben.
Nach dem Krieg tat sich die RWTH Aachen schwer mit der Aufarbeitung dieser Ereignisse. 1970, als (zu Beginn der Amtszeit des inzwischen über die Grenzen des Landes hinaus unrühmlich bekanntgewordenen Rektors Schwerte/Schneider) das 100-jährige Bestehen der Hochschule gefeiert wurde, war das offensichtlich noch nicht möglich. Die erste öffentliche Auseinandersetzung der RWTH mit diesem Kapitel ihrer Geschichte erfolgte erst 1995 im Jubiläumsband zu ihrem 125-jährigen Bestehen. 1997 wurde im Hauptgebäude der RWTH eine Gedenktafel angebracht, die an eines der Opfer, Professor Otto Blumenthal, erinnert.
Ergänzende Literatur:
Kalkmann, Ulrich: Die Technische Hochschule Aachen im Dritten Reich (1933-1945), Aachen 2003.
Felsch, Volkmer: Otto Blumenthals Tagebücher. Ein Aachener Mathematikprofessor erleidet die NS-Diktatur in Deutschland, den Niederlanden und Theresienstadt,
Konstanz 2011.